Ein Ausnahme-Kinoerlebnis war in diesem Sommer für mich die Eröffnung des Locarno Film Festivals: Auf dem Programm stand «The Lodger», ein Stummfilm von Alfred Hitchcock, der musikalisch begleitet wurde durch das «Orchestra della Svizzera Italiana». An diesem Nachmittag wurde ich zum Fan von «Cinema Concerto».
Aber warum fesselte mich ausgerechnet diese Geschichte aus dem nebligen London der 1920er Jahre derart, dass meine Augen während der gesamten Vorstellung an der Leinwand klebten, mir bei modernen Filmen viele Details aber nach kurzer Zeit wieder entfallen? Wie funktioniert das Spiel mit der menschlichen Aufmerksamkeit? Bei einer Nachlese über Hitchcocks Arbeit wurde mir klar, dass viele seiner Methoden auch für die Kommunikation von heute nichts an Aktualität verloren haben und zahlreiche Lehren bereithalten.
Vorbereitung und Fokus
Hitchcock war berühmt für die exakte Komposition seiner Szenen. Der gelernte Zeichner plante seine Filme mithilfe von Skizzen bis ins kleinste Detail, mindestens so genau nahm er es mit dem Drehbuch, dem Casting, dem Kostüm- und Architekturentwurf, dem Schnitt und der Musikauswahl.
Nach der peniblen Vorbereitung empfand der Regisseur die Dreharbeiten weniger als kreativen Prozess, zuweilen soll er sogar am Set geschlafen haben. Aber für die Schlüsselszenen verwandte er immer viel Zeit und Energie: Die Hälfte der Drehtage von Janet Leigh in «Psycho» entfiel auf die Duschszene, und die Schauspielerin sagte danach, dass sie selbst den Dreh als derart gruselig empfunden habe, dass sie noch lange Zeit jede Duschkabine mied.
- Lektion Nr. 1: Harte Konzeptionsarbeit ist die Grundlage für den Erfolg, wobei das Herzstück eines Projekts die meiste Aufmerksamkeit und die entsprechenden Ressourcen verdient.
Die Kunst des Weglassens
Der Meister der Gänsehaut hat es vorexerziert: Eine gute Geschichte baut sich Schritt für Schritt auf. Hitchcock gab Informationen nur dosiert preis, setzte auf die Kraft des Unsichtbaren und die Spannung des Ungesagten.
In der journalistischen Berichterstattung heisst das: Nicht jeder Teilaspekt muss besprochen werden. Wichtiger ist ein roter Faden, der Orientierung gibt, und aussagekräftige, zum Lesen einladende Titel.
Bei Präsentationen ist es genauso. Es geht nicht darum, alles bis ins kleinste Detail zu erklären. Die Kunst liegt darin, das Publikum beim Vortragen mitzunehmen und es mit neuen Einsichten zu überraschen.
- Lektion Nr. 2: Eine gute Geschichte lebt auch von ihren Lücken – wegen der Neugier, die sie wecken.

Mehrere Sinne ansprechen
Der Regisseur verachtete Filme, in denen alle Informationen über den Dialog vermittelt wurden. Er involvierte das Publikum durch starke Bilder und Handlungen in seine Erzählungen, nutzte verschiedenste Kamera- und Schnitttechniken, experimentierte mit Musik und Sound. Übersetzt auf die Kommunikation heisst das: Wir müssen nicht immer an den Worten hängen. Bild und Ton können genauso gut für sich sprechen.
- Lektion Nr. 3 für die Kommunikation von heute: Die stärksten Botschaften entstehen oft jenseits der Worte.
Hitchcock soll einmal gesagt haben: «Das Drama ist ein Leben, aus dem man die langweiligen Momente herausgeschnitten hat.»
Also: Mehr Drama – Bitte!