Geschichten erzählen wie Hitchcock

Mehr Drama: Lektionen des Altmeisters für die Kommunikationsarbeit 

5. Oktober 2023 | von Verena Parzer-Epp

 

Ein Ausnahme-Kinoerlebnis war in diesem Sommer für mich die Eröffnung des Locarno Film Festivals: Auf dem Programm stand «The Lodger», ein Stummfilm von Alfred Hitchcock, der musikalisch begleitet wurde durch das «Orchestra della Svizzera Italiana». An diesem Nachmittag wurde ich zum Fan von «Cinema Concerto».  

Das Erlebte beschäftigte mich noch während Wochen. Warum fesselte mich ausgerechnet diese Geschichte aus dem nebligen London der 1920er Jahre derart, dass meine Augen während der gesamten Vorstellung an der Leinwand klebten, mir bei modernen Filmen viele Details aber nach kurzer Zeit wieder entfallen? Wie funktioniert das Spiel mit der menschlichen Aufmerksamkeit? Bei einer Nachlese über Hitchcocks Arbeit wurde mir klar, dass viele seiner Methoden auch für die Kommunikation von heute nichts an Aktualität verloren haben und zahlreiche Lehren bereithalten:  

Planung ist nicht alles – aber vieles 

Hitchcock war berühmt für die exakte Komposition seiner Szenen. Der gelernte Zeichner plante seine Filme mithilfe von Skizzen bis ins kleinste Detail, mindestens so genau nahm er es mit dem Drehbuch, dem Casting, dem Kostüm- und Architekturentwurf, dem Schnitt und der Musikauswahl. 

⇒ Genialität fällt nicht vom Himmel, im Gegenteil: Hinter einer guten Geschichte steckt (fast) immer sehr harte Konzeptionsarbeit.

Schwerpunkte setzen 

Nach der peniblen Vorbereitung empfand der Regisseur die Dreharbeiten weniger als kreativen Prozess, zuweilen soll er sogar am Set geschlafen haben. Aber für die Schlüsselszenen verwandte er immer viel Zeit und Energie: Die Hälfte der Drehtage von Janet Leigh in «Psycho» entfiel auf die Duschszene, und die Schauspielerin sagte danach, dass sie selbst den Dreh als derart gruselig empfunden habe, dass sie noch lange Zeit jede Duschkabine mied. 

⇒ Das Herzstück eines beliebigen Projekts verdient am meisten Aufmerksamkeit – und entsprechende Ressourcen. 

Eine Handschrift entwickeln

Hitchcock wurde bekannt für seinen eigenen Stil, und den konnte er dann voll ausleben, wenn er als Produzent verantwortlich zeichnete. Seine grössten Erfolge erzielte er in Hollywood immer dann, wenn er auf eigene Rechnung arbeitete oder sich die Unabhängigkeit vertraglich zusichern liess (z.B. mit Warner Bros). Weniger wichtig als die persönliche Handschrift erwies sich das liebe Geld: «Psycho» war mit einem Budget von 800 000 USD eine Low-Budget-Produktion – und gilt bis heute als einer der erfolgreichsten Filme der Kinogeschichte.  

⇒ Viele Köche verderben den Brei. Kreative brauchen Freiräume und die Möglichkeit, Projektverantwortung zu übernehmen.   

Die Kunst des Weglassens 

Der Meister der Gänsehaut hat es vorexerziert: Eine gute Geschichte baut sich Schritt für Schritt auf. Hitchcock gab Informationen nur dosiert preis, setzte auf die Kraft des Unsichtbaren und die Spannung des Ungesagten. Oft sind es die Lücken, die unsere Neugier wecken.

⇒ In der journalistischen Berichterstattung heisst das: Nicht jeder Teilaspekt muss besprochen werden. Wichtiger ist ein roter Faden, der Orientierung gibt, und aussagekräftige, zum Lesen einladende Titel.

⇒ Bei Präsentationen ist es genauso. Es geht nicht darum, alles bis ins kleinste Detail zu erklären. Die Kunst liegt darin, das Publikum beim Vortragen mitzunehmen und es mit neuen Einsichten zu überraschen. 

Verschiedene Wahrnehmungsebenen ansprechen  

Der Regisseur verachtete Filme, in denen alle Informationen über den Dialog vermittelt wurden. Er involvierte das Publikum durch starke Bilder und Handlungen in seine Erzählungen, nutzte verschiedenste Kamera- und Schnitttechniken, experimentierte mit Musik und Sound. 

⇒ Übersetzt auf Vorträge heisst das: Nicht alles muss in Worten ausgedrückt werden: Bilder, Grafiken oder Musik können genauso gut für sich sprechen.

Hitchcock soll einmal gesagt haben: «Das Drama ist ein Leben, aus dem man die langweiligen Momente herausgeschnitten hat.» Aus der Auseinandersetzung mit seinem Werk habe ich gelernt, dass sein Erfolg System hatte: Er gründete auf methodischer Konsequenz, dem Willen zur Eigenständigkeit und dem unbedingten Fokus auf das Publikum. 

Also: Mehr Drama – Bitte! 

 

Schnappschüsse aus Hitchcocks Arbeit:

The Lodger A Story of the London Fog StillStewart Kelly Hitchcock Rear WindowHitchcock Birds promotional stillAnthony Perkins Alfred Hitchcock Janet Leigh on Psycho SetAn AI-created vintage film reel with references to Alfred Hitchcock

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